*Der Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwangsweise der Meinung der VDW.

In Anlehnung an einen Text aus dem Englischen: „The time is ripe for a poison-free agriculture“

Der deutsche Agrarminister Christian Schmidt sorgte mit seiner Zustimmung für eine fünfjährige, erneute Zulassung des umstrittenen Glyphosat am 27. November 2017 für Aufsehen nicht nur in Europa. Glyphosat ist der deklarierte aktive Inhaltsstoff von Monsantos hoch umstrittenen Marktrenner „Roundup“. Minister Schmidt traf diese Entscheidung wissentlich entgegen der Position von Umweltministerin Barbara Hendricks. Er handelte offenbar nicht nur ohne Wissen von Bundeskanzlerin Merkel, sondern auch entgegen der verabredeten Weisung der Koalitionsregierung, die eine Enthaltung Deutschlands vorsah. Schmidts Alleingang hatte zur Folge, dass entgegen früherer Abstimmungen zu Glyphosat nun eine qualifizierte Mehrheit der EU Mitgliedstaaten erreicht wurde und Glyphosat-basierte Herbizide infolgedessen für weitere fünf Jahre in der EU eingesetzt werden können. Dieser Affront kam zum denkbar ungünstigsten Moment, während Kanzlerin Merkel die SPD, die Partei von Ministerin Hendricks, umwarb, wieder in eine Große Koalition mit der CDU/CSU, der Partei von Minister Schmidt, einzutreten. Diese Verhandlungen wurden durch diesen Alleingang deutlich erschwert[1].

Dennoch Grund zu Optimismus

Die fünfjährige Verlängerung eines Pflanzengifts, das die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ für den Menschen einstuft, war für viele Menschen ausgesprochen enttäuschend und löste einen Proteststurm quer durch Europa aus, bei dem sich etliche allerdings auch in der Tonlage vergriffen[2]. Mit Morddrohungen und dergleichen wird sicher kein Fortschritt erzielt, weder wissenschaftlich noch politisch. Dennoch ist klar, dass diese einsame Entscheidung die Polarisierung nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Gesellschaft weiter vertieft hat und das ohnehin schon strapazierte Wohlwollen in die europäischen Institutionen und Entscheidungsprozesse – über eine vermutlich deutliche Mehrheit der EU Bürger hinweg[3] – weiter geschwächt hat. Das ist politisch höchst ungeschickt, es sei denn man möchte die Spaltung der EU vorantreiben. Immerhin haben aber 18 der 28 EU-Mitgliedstaaten für die weitere Zulassung gestimmt. Somit stehen außer Deutschland weitere 17 EU-Regierungen in der Mitverantwortung für diese Entscheidung und ihre Folgen.

Dennoch bin ich nicht nur pessimistisch und sehe durchaus auch Chancen in diesen Ereignissen. Wenn sich Deutschland bei der Abstimmung wie üblich enthalten hätte, hätte spätestens die EU-Kommission das Mittel zugelassen. Somit wäre das zermürbende Patt zwischen Befürwortern und Gegnern fortgesetzt worden, was auch nicht zum Vorteil für die EU gewesen wäre. Ein kompletter Ausstieg war und ist zu diesem Zeitpunkt keine politische Option. Schmidts Alleingang brachte nun Bewegung in diese verfahrene Situation und könnte sich auf unerwartete Weise sogar positiv im Sinne der Gegner der Glyphosat-Zulassung auswirken.

Vor diesem Hintergrund war die Bewegung gegen eine Wiederzulassung von Glyphosat unglaublich erfolgreich und hat enorm viel erreicht. Glyphosate-basierte Herbizide sind auf ihrem Weg in die Geschichte – in Europa aufgrund des Widerstands der Öffentlichkeit und in Nord- und Südamerika aufgrund des Widerstands der Unkräuter, die zu bekämpfen sie vor Jahrzehnten einmal angetreten sind[4]. Glyphosat hat in Europa eine enorme Öffentlichkeit erfahren. Zumindest in Deutschland dürfte es kaum noch Menschen geben, die nicht von Glyphosat und seiner Einschätzung als wahrscheinlich krebserregend gehört haben. Das Mittel wurde nach jahrelangem Ringen für lediglich fünf Jahre zugelassen, einem Drittel der normalen 15 Jahre. Das sind schlechte Nachrichten für die Herstellerindustrien dieser Pflanzengifte – was die ausgebliebenen oder wenig enthusiastischen Reaktionen der Industrie und ihrer Großbauern-Lobbyorganisationen erklärt[5]. Frankreich und Italien, die beide gegen die Wiederzulassung stimmten, kündigten kurz darauf an, einseitig die Glyphosat-Zulassung innerhalb von nur drei Jahren auslaufen zu lassen[6]. Die Industrie hat große Summen an Geld verloren, die sie in das Lobbying für eine 15-jährige Zulassung investiert hatte. Sie kann ihre Interessen nicht mehr so durchdrücken wie sie es gewohnt war. Allerdings ist die Glaubwürdigkeit der Europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit EFSA und insbesondere des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung BfR, das federführend war in der Bewertung von Glyphosat, erschüttert[7]. Insbesondere wenn man erfährt, dass vier der insgesamt 13 Gremiumsmitglieder[8], die für die BfR-Einschätzung von Glyphosat verantwortlich sind, aus der Privatwirtschaft kommen, davon drei VertreterInnen der Pestizidindustrie (BASF und Bayer). Man ist dort nun primär um Gesichtswahrung bemüht[9] und muss sich nicht mehr nur in politischen[10], sondern auch in juristischen Verfahren verteidigen[11]. Der unkluge Schachzug des deutschen Ministers Schmidt hat jetzt zudem einen hochgradigen Skandal in der deutschen Politik verursacht zu einem Zeitpunkt, an dem die Parteien darum ringen, eine neue Regierung zu bilden.

Es geht um mehr als nur Glyphosat

Glyphosat hat es an die Spitze der politischen Agenda geschafft – noch vor einem Jahr hätte ich dies für unmöglich gehalten. Dank Minister Schmidt, der vermutlich nicht mehr einer neuen Regierung angehören wird. Doch es geht um vielmehr als nur um die Abschaffung von Glyphosat. Es geht um den Ausstieg aus der Ära der Pestizide und dieser kann nicht Pestizid um Pestizid erreicht werden. Für jedes Pestizid, das geht, kommt ein anderes, das entweder genauso schlimm oder noch schlimmer ist. Die Neonikotinoide, die vor Jahrzehnten Organophosphate und Pyrethroide ersetzen sollten[12], wurden (wie Glyphosat) eingeführt auf dem Rücken von Behauptungen, dass sie viel umweltfreundlicher und ungiftiger wären als ihre Vorgänger[13]. Heute wissen wir, dass sie dazu beitragen Bienen und andere Tiere zu vergiften oder wahrscheinlich krebserregend sind. Aber selbst wenn in einiger Zeit auch Neonikotinoide verboten werden sollten, wird die Industrie mit neuen Agrargiften kommen, die mit Sicherheit wieder als viel besser für Umwelt und Mensch gepriesen werden, um Jahre später nach großem Schaden und Leid von Mensch und Umwelt wieder festzustellen, dass es keine umweltfreundlichen synthetischen Pestizide gibt.

Jetzt ist es Zeit, dass wir aus diesem Teufelskreis, dieser Pestizid-Tretmühle aussteigen. Wir müssen unsere Kapazitäten und Kräfte bündeln und uns für die Transformation der europäischen Landwirtschaft zu einer pestizid-freien Landwirtschaft einsetzen. Pestizide haben einfach nichts in der Umwelt und schon gar nichts in unserer Nahrung zu suchen. Es mutet geradezu absurd an, von den Konsumenten zu verlangen, dass sie Pestizide in ihrer Nahrung, egal in welchen Konzentrationen, akzeptieren sollen. Das Argument, dass man nur mit diesen Giften ausreichend Nahrung produzieren kann, ist so bizarr wie falsch, es käme einer Bankrotterklärung der Wissenschaft gleich. Das Zeitalter der Vergiftung unseres Wassers, der Böden und der Nahrung muss zu Ende gehen. Dazu braucht es zivilgesellschaftliches Engagement und Koalitionen über alle Gesellschaftsgruppen und Sektoren hinweg. Dies umfasst auch jene noch als „konventionell“ bezeichneten Landwirte, die diese Pestizide einzusetzen gezwungen sind.

Viele Landwirte, oft die ersten Opfer, wollen raus aus der Pestizidfalle

Ich habe viele Landwirte getroffen, die gar nicht glücklich waren, diese giftigen Pestizide verwenden zu müssen. Sie würden gerne ohne sie auskommen und sind es leid, als die Schuldigen und Täter herhalten zu müssen. Sie wollen nicht das Wasser, den Boden und die Nahrung mit Pestiziden kontaminieren. Oft sind sie auch die ersten Opfer dieser Gifte[14]. Aber sie sitzen in einer Falle aus Schulden und agrarpolitischen Strukturen, die rein nach ökonomischen Gesetzen, stramm der Logik der extraktiven Industrien folgend, modelliert wurden. Dieses Modell wird mittels perverser ökonomischer Anreize implementiert (Subventionen, Preispolitik, Handelszwänge), die die Produkte, deren Herstellung die Umwelt zerstört und die menschliche Gesundheit gefährdet, künstlich billiger macht als jene, die dieses nicht tun[15]. Den Preis für diese Zerstörung zahlen wir alle dann nochmal, profit-maximiert zum Nutzen der angeschlossenen Industrien zur Reinigung, Renaturierung, Wiederaufbereitung von kaputter Umwelt oder der Pharmaindustrie. Wir brauchen kreative Anreize und Strategien, die Landwirten dabei helfen, ihre Betriebe auf eine moderne, ertragreiche, giftfreie und ökologische Landwirtschaft umzustellen. Diese ertragreichen, ökologischen Anbausysteme gibt es schon lange, es müssen lediglich die ökonomischen Bedingungen angepasst werden. Allein dazu fehlt bislang der politische Wille. Das enorme öffentliche Engagement der Menschen gegen die Wiederzulassung von Glyphosat und Neonikotinoiden muss nun darauf ausgerichtet werden, Einfluss auf diese ökonomischen Bedingungen in der nächsten europäischen gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) 2020 zu nehmen[16], deren Verhandlungen jetzt beginnen. Dieselben Kräfte, die erfolgreich das Ende von Glyphosat und Neonikotinoiden verhindern, organisieren sich jetzt schon, um sicherzustellen, dass auch in der nächsten GAP die Anreizsysteme für umweltzerstörerische Intensivierung und steigenden Pestizidverbrauch erhalten bleiben. Alle, die eine pestizid-freie Landwirtschaft und Nahrung wollen – und ich bin mir sicher, dies ist die große Mehrheit – müssen ihren Stimmen Gehör verschaffen und laut und deutlich sagen, dass diese tragische Epoche der Menschheit zu Ende geht. Das Thema muss ganz oben auf der politischen Agenda bleiben und es muss wahlentscheidend werden. Und vielleicht braucht es dazu noch mehr Minister wie Herrn Schmidt, die mit ihren falschen Entscheidungen am Ende das Richtige erreichen – den Druck für eine Agrarwende zu erhöhen. Die Zeit ist reif – überreif!

Dr. Angelika Hilbeck

Dozentin und Wissenschaftlerin am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich, Leiterin der Forschungsgruppe Umweltbiosicherheit; VDW-Beiratsmitglied.


[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/spd-und-union-wie-das-ja-zu-glyphosat-die-groko-gefaehrdet-1.3768884

[2] https://www.agrarheute.com/politik/glyphosat-votum-drohungen-gegen-agrarminister-christian-schmidt-540734

[3] https://www.democracy-international.org/glyphosate-renewal-let-people-decide

[4] https://www.pioneer.com/home/site/us/agronomy/library/glyphosate-resistance-in-weeds/

[5] http://www.copa-cogeca.be/Main.aspx?page=Archive&lang=de

[6] https://www.politico.eu/article/glyphosate-renewal-shakes-germany-france-italy/

[7] http://www.umweltinstitut.org/aktuelle-meldungen/meldungen/glyphosat-behoerde-schreibt-bewertung-von-monsanto-ab.html

[8] http://www.bfr.bund.de/de/mitglieder_der_bfr_kommission.html

[9] http://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2017/34/glyphosatbewertung.html

[10] http://www.fr.de/wirtschaft/glyphosat-die-gefaehrlichkeit-bestimmt-monsanto-a-1352814, http://www.taz.de/Anhoerung-zu-Glyphosat/!5452341/

[11] https://www.global2000.at/glyphosat-strafanzeige, http://www.pan-germany.org/download/Glyphosat-Analyse_PAN-fuer_Global2000.pdf

[12] https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/EAC-_Key_brief.pdf

[13] https://www.scientificamerican.com/article/plant-pesticides-health/

[14] http://www.panna.org/frontline-communities/rural-families

[15] http://www.cam.ac.uk/research/news/paying-farmers-to-help-the-environment-works-but-perverse-subsidies-must-be-balanced, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/UNOUmweltexperte-Diese-Subventionen-sind-pervers/story/25923296#overlay

[16] https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/landwirtschaft/agrarreform/171121-fitnesscheckbriefing4de.pdf

Dr. Angelika Hilbeck
Dr. Angelika Hilbeck
Angelika Hilbeck hat an der Universität Hohenheim Agrarbiologie studiert und an der North Carolina University, Raleigh, NC, USA in Entomologie promoviert. Seit 2000 ist sie am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich und leitet dort die Forschungsgruppe Umweltbiosicherheit. Sie befasst sich in der Lehre und Forschung mit Fragen zu den Auswirkungen der grünen Gentechnik in der Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion und Umwelt. Durch vielfältige Forschungs- und Beratungsprojekte und ihre Mitarbeit an der Implementierung des Cartagena Protokolls zur Biosicherheit der UNO konnte sie umfassende Erfahrung in der internationalen Landwirtschaft und der Vielfalt der jeweiligen lokalen Sachzwänge der Kleinbauern machen. Aufgrund dieser Expertisen wurde sie zur Mitarbeit am Weltagrarbericht (IAASTD 2008) berufen. Sie wirkt weiterhin als Stiftungsrätin bei ‘Brot für Alle’ und ist Vorsitzende des European Networks of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER).