Öffentliche Diskussionsveranstaltung am 03. Mai 2017 in der Aula der Georg-August-Universität Göttingen

Welche Verantwortung trägt die Wissenschaft im Diskurs mit Politik und Gesellschaft? Welche Rolle spielen ForscherInnen im öffentlich-demokratischen Prozess? Was sind die Erwartungen heute, wie können wir aus der Geschichte lernen? Diese und ähnliche Fragen haben wir am 03. Mai 2017 diskutiert gemeinsam mit der Georg-August-Universität Göttingen, der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) und zahlreichen Gästen und Interessierten.

Anlass war der 60. Jahrestag der „Göttinger Erklärung“, in der sich 18 renommierte Atomforscher – darunter Carl Friedrich von Weizsäcker, Max Born und Otto Hahn – öffentlichkeitswirksam gegen eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr aussprachen und eine bessere Aufklärung der Gesellschaft über die Gefahren von Atomwaffen forderten.

Im folgenden Kurzfilm erinnern Zeitzeugen und Wissenschaftler an das Ereignis und an die Verantwortung von Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft:

Video „Die Göttinger Erklärung 1957“ bei YouTube öffnen

Produktion: Prof. Dr. Arnulf Quadt (für die Universität Göttingen) | Umsetzung: Sascha Prinz

Grußworte und Impulsvortrag

Nach der Eröffnung durch Prof. Dr. Ulrike Beisiegel, Präsidentin der Georg-August-Universität Göttingen, nahm Prof. Dr. Hartmut Graßl, Vorsitzender der VDW, die aktuellen Herausforderungen beim Thema Atomwaffen in den Blick. Verbunden mit einem Rückblick auf die Bedeutung und Courage der „Göttinger 18“ warb er dafür, die Wissenschaft wieder stärker zu den Menschen zu bringen.

Die politisch-gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft betonte im nachfolgenden Grußwort auch Prof. Dr. Arnulf Quadt, Vorstandsmitglied der DPG und Professor für experimentelle Teilchenphysik an der Universität Göttingen.

Anschließend reflektierte Prof. Dr. Ulrike Beisiegel in einem Impulsvortrag, ob und inwieweit ForscherInnen (und auch die Universitäten) in der Pflicht stehen, wissenschaftlich begründete Bedenken öffentlich zu machen und politikberatend tätig zu werden. Dabei unterstrich sie die Pflicht der Universität, sich neben Lehre und Forschung auch um eine „dritte Säule“ zu kümmern: den Wissenstransfer in die Gesellschaft. Ein solcher Wissenstransfer sei immens wichtig, vor allem in einer Zeit alternativer Fakten, und die Wissenschaft dürfe sich nicht zu sehr von der Gesellschaft entfernen. Forschungsarbeiten seien zwar komplex und ressourcen- sowie zeitaufwendig. WissenschaftlerInnen sollten sich aber nicht davon abbringen lassen, sich die Zeit zu nehmen und mutig aus der Wissenschaftswelt heraus in einen Dialog mit Politik und Gesellschaft zu treten. Auch die Universitäten seien hier gefragt.

Podiumsdiskussion – Wissenschaft in der Verantwortung!?

Eine abschließende Podiumsdiskussion, moderiert von Dr. Ulrike Bosse (NDR Info), setzte sich vertiefend mit der Verantwortungsfrage auseinander und thematisierte, wie genau WissenschaftlerInnen ihre Rolle im öffentlich-demokratischen Diskurs wahrnehmen können. Andrea Hoops, Staatssekretärin im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, betonte, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören und die Wissenschaft sich zu Wort melden soll – und zwar nicht erst dann, wenn es kritisch wird. Politik brauche fachliche Beratung, insbesondere bei komplexen Fragen und Entscheidungsfindungen, und der Staat müsse hierfür die entsprechenden Bedingungen und Räume schaffen (z. B. weniger Projektmittel und dafür eine bessere Grundfinanzierung für mehr Planungssicherheit). Zudem sei es von großer Bedeutung, Forschungsergebnisse transparenter zu gestalten sowie besser zu kommunizieren. Die Bevölkerung solle durch eine „Transparenz-Offensive“ besser über aktuelle Forschungsarbeiten (und auch die Finanzierung von Drittmittel-Projekten) informiert werden. Dr. Christian Forstner, Friedrich-Schiller-Universität Jena/DPG, mahnte aus wissenschaftshistorischer Sicht, aus der Geschichte zu lernen. Wissenschaft sei ein sozialer Prozess und müsse sich wieder stärker nach außen öffnen. Dr. Aurélie Halsband, Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften/VDW, plädierte für eine qualifizierte Urteilsbindung im wissenschaftlichen Prozess und eine bessere Aufklärung der Gesellschaft. Erst auf der Basis einer fachwissenschaftlichen, aber auch verständlichen Aufarbeitung und Vermittlung von Fakten und Themen könnten politische Meinungsbildung und Partizipation wirklich gelingen.

Prof. Dr. Andreas Buchleitner, Universität Freiburg/DPG, unterstrich, dass Wissenschaft zuallererst der Wahrheit verpflichtet ist, auch wenn man sich dieser nie sicher sein kann. Auf die Forderung nach mehr Transparenz gab er zu bedenken, dass das heutige Wissenschaftssystem einem hohen Arbeits- (und Publikations-) Druck unterliegt, der WissenschaftlerInnen oftmals den Anreiz nimmt, mehr und vor allem konfliktfreudiger zu kommunizieren. Dies müsse sich ändern, zum Beispiel wenn es um so wichtige Themen geht wie die Folgenanalyse einer verstärkten Anwendung von Big Data-Technologien in demokratischen Prozessen. Hier seien eine ethisch-kritische Hinterfragung und mehr Diskurs notwendig.

Prof. Dr. Götz Neuneck, Universität Hamburg/VDW/DPG, merkte an, dass es mehrere „Verantwortungsarten“ gibt: die des Forschenden, die des Lehrenden und die des Staatsbürgers. WissenschaftlerInnen müssten auch als Individuen „mitdenken“ und ihr eigenes Gewissen als Ratgeber heranziehen. Dies sollte auch im Rahmen der wissenschaftlichen Ausbildung eine größere Rolle spielen. Prof. Dr. Ulrike Beisiegel betonte, dass sich sowohl Fachleute wie auch Institutionen als Ressourcen- und Kontextgeber einmischen und dafür einsetzen sollten, einen gemeinsamen, auf wissenschaftlichen Fakten basierenden Diskurs zu führen. Hier ständen auch insbesondere die Universitäten in der Pflicht. Die Veranstaltung sei dafür ein gutes Beispiel und Vorbild.

Filmpremiere „Kreisgang“

Im zweiten Teil der Veranstaltung hatte der Dokumentarfilm „Kreisgang“ der Historikerin Dr. Elisabeth Raiser über Leben und Werk von Carl Friedrich von Weizsäcker Premiere. Darin kommen u.a. die Politiker Hans-Jochen Vogel und Egon Bahr zu Wort.

Das Plakat zur Veranstaltung finden Sie hier.

Fotos: Georg-August-Universität Göttingen/Peter Heller | Videos: Georg-August-Universität Göttingen