Presse- und Fachgespräch mit PD Dr. Bernd W. Kubbig am 19.01.2017 in Berlin

„Angesichts eines dramatischen Zustandes in der Region vermittelt das Nuklearabkommen einen Eindruck davon, was in den internationalen Beziehungen möglich ist, indem man die Konflikte, die die Region berühren, auf kooperative Weise angeht“. Mit diesen Worten beschreibt die EU-Außenministerin Federica Mogherini die Bedeutung des E3+3-Abkommens, das in der Diplomatensprache sperrig Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) genannt wird. England, Frankreich und Deutschland sowie die USA, Russland und China haben es mit dem Iran jahrelang ausgehandelt und am 14. Juli 2015 in Wien unterzeichnet. In diesen Tagen stellen auch andere führende Politiker den Meilenstein-Charakter des JCPOA heraus – etwa der neu gewählte UN-Generalsekretär Guterres und der scheidende US-Präsident Barack Obama.

Der Anlass ist, dass dieses Abkommen am 16. Januar 2016 in Kraft trat. Es feiert seinen ersten Geburtstag! In den Statements schwingt Überraschung und Freude mit, aber auch Besorgnis. Denn die führenden Vertreter der Unterzeichnerstaaten blicken angespannt und nervös nach Washington. Der angehende Präsident Donald Trump hat just dieses Abkommen, eines der größten Erfolge der Obama-Administration, als das „schlechteste Abkommen aller Zeiten“  bezeichnet.

Was also wird aus diesem Abkommen unter dem neuen US-Präsidenten? Dieser Frage ging PD Dr. Bernd W. Kubbig, Koordinator des Academic Peace Orchestra Middle East, bei der aktualisierten Vorstellung einer Studie zum JCPOA nach (siehe Policy Brief No. 48 „The JCPOA: A Potential ‚Game Changer‘ for a Regional WMD/DVs Free Zone as Part of Cooperative Security Arrangements“; Downloadlinks befinden sich am Ende des Textes).

Diese Präsentation fand nicht zufällig in den Räumen der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW e.V.) in Berlin statt. „Wir haben uns beim Fokus auf diese brisante Frage von unseren berühmten US-Kollegen anregen lassen, die am 2. Januar 2017 den designierten Präsidenten in einem stark beachteten Brief aufforderten, dieses Abkommen zu erhalten. Sie haben es als „starkes Bollwerk“ gegen ein iranisches Nuklearwaffenprogramm bezeichnet“, betont VDW-Vorstandsmitglied Dr. Hans-Jochen Luhmann.

In der Tat, die Stärken des Abkommens sind unübersehbar. Dazu zählt, dass es ein multilaterales Abkommen ist – kein unilaterales. Denn die E3+3-Staaten zusammengenommen repräsentieren die internationale Staatengemeinschaft, zumal der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den JCPOA durch eine Resolution in den Rang eines internationalen Vertrages gehoben hat. Seinen multilateralen Charakter führen die Politiker dieser Tage selbst als Bollwerk gegen Trump und seine Administration an. Eine weitere unverkennbare Stärke des JCPOA ist, dass er zweierlei auf diplomatischem Wege geschafft hat: eine Nuklearmacht Iran und einen Krieg gegen dieses Land zu verhindern. Diese sog. militärische Option stand vorher jahrelang auf der Tagesordnung.

In seiner Präsentation führt Kubbig weiterhin aus, dass sich die Vereinbarung in der Praxis bislang in zweifacher Hinsicht bewährt hat. So haben die UN und die Wiener Atomenergiebehörde (IAEO) wiederholt bestätigt, dass sich, technisch gesehen, alle Partner bisher an die zahlreichen Bestimmungen dieses außerordentlich komplexen Abkommens von rund 160 Seiten gehalten haben (bis auf zwei strategisch nicht bedeutsame Überschreitungen der vereinbarten Grenzwerte durch Teheran im Jahre 2016). Iran ist also dabei, das verloren gegangene Vertrauen durch die Einhaltung des Abkommens wieder gutzumachen. Dies ist das wohl stärkste Bollwerk gegen die JCPOA-Kritiker auch in der neuen Administration Trump. Das Abkommen hat sich zudem dadurch bewährt, dass die zwei geringfügigen Verletzungen im zuständigen Gemeinsamen Komitee zur Sprache kamen und einvernehmlich gelöst wurden. Teheran hat dieses Gremium im Übrigen ebenfalls mit Erfolg angerufen. „Das ist gelungene Vertrauensbildung in der Praxis“, hebt der Koordinator des Academic Peace Orchestra Middle East hervor und verweist auf die  wichtige koordinierende Rolle, die das „Außenministerium“ der EU hierbei spielt.

Kubbigs Präsentation zeigt auch die Grenzen des Abkommens auf: Es hat den Nachbarn Irans am Golf die Ängste vor Teherans Außenpolitik nicht nehmen können, ja, es hat sie zum Teil noch verstärkt. Hier kann vor allem eine Kurskorrektur der iranischen Politik Abhilfe schaffen. Kubbig empfiehlt, umfassende Sicherheitsstrukturen für die gesamte Region auf den Weg zu bringen.

Bleibt die oben gestellte Gretchenfrage: Was wird aus dem E3+3-Abkommen mit Iran in der Amtszeit Trumps? Aus seiner ersten Auswertung der wenigen Äußerungen zukünftiger Spitzenpolitiker der Trump-Administration folgert Kubbig mit aller Vorsicht: „Ein direkter unilateraler Bruch erscheint aus heutiger Sicht nicht sehr wahrscheinlich.“ Mit der Weltgemeinschaft wird sich die neue Regierung nicht anlegen, wenn Iran das weiterhin einhält. Dennoch sieht Kubbig zwei Hauptgefahren, für die er das Bild von Spiralen in unterschiedlicher Richtung verwendet. Eine bedenkliche „Spirale nach oben“ könne sich dann negativ entwickeln, wenn die US-Regierung das Abkommen nicht antastet, aber die von ihm nicht betroffenen Sanktionen befürwortet. Die iranische Regierung hat klipp und klar gemacht, dass sie dann mit entsprechenden militärischen Maßnahmen reagieren werde. Eine Konfliktspirale des „So-wie-Du-mir, so-ich-Dir“ würde nicht nur das Abkommen selbst beschädigen, sondern die Iran-Politik der USA insgesamt.

Zu hoffen ist, so Kubbig, dass sich Teheran nicht provozieren lässt. Dies gilt auch für die zweite Hauptgefahr – eine „Spirale nach unten“. Diese könnte entstehen, wenn die US-Administration das Abkommen nachlässig behandelt, was zu Verzögerungen führen kann. Auch hier könnte Teheran ebenfalls mit nicht konstruktiven Provokationen reagieren.

Kubbig setzt auf eine entschlossene EU, die nicht nur gegenüber Teheran, sondern auch gegenüber Washington selbstbewusst und brückenbauend aufritt. Die EU dürfte kurzfristig vor allem  gefordert sein, um dem historischen Abkommen zu neuem Aufschwung zu verhelfen.

Die Veranstaltung wird von der VDW zusammen mit folgendem Partner ausgerichtet:

Weiterführende Links:

PD Dr. Bernd W. Kubbig
Presse- und Fachgespräch am 19.01.2017

Downloads

Policy Brief No. 48: The JCPOA: A Potential “Game Changer” for a Regional WMD/DVs Free Zone as Part of Cooperative Security Arrangements
Zur PDF-Version

Zusammenfassung des Policy Briefs No. 48 auf Deutsch
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Pressemitteilung
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Kolumne von Dr. Hans-Jochen Luhmann

Das Nuklear-Abkommen mit Iran: Perspektiven für den Nahen Osten heute und unter dem Druck der Klimaherausforderung
Link zum Text

Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und VDW-Vorstandsmitglied.

Die Kolumne erscheint auf der Webseite proprium | sinn schaffen – horizonte öffnen

Bildnachweis: Till Weyers, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V.