Der Whistleblower-Preis

Zur Ehrung mutiger WhistleblowerInnen wird seit 1999 alle zwei Jahre der Whistleblower-Preis gemeinsam von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. (VDW) und der IALANA Deutschland – Vereinigung für Friedensrecht gestiftet. Der Preis wird vergeben an Persönlichkeiten, die – häufig unter Inkaufnahme beträchtlicher Risiken für Arbeitsplatz und Karriere – Missstände aufdecken und nach außen bekannt machen, welche ihnen in ihrer dienstlichen oder amtlichen Tätigkeit bekannt geworden sind. Der Whistleblower-Preis soll eine Form des Zuspruchs, der Anerkennung, der Ermutigung und der Solidarität zum Ausdruck bringen, die Bürgerinnen und Bürger mit großer Zivilcourage brauchen, wenn sie die zahlreichen Belastungen und Schwierigkeiten im privaten und beruflichen Umfeld sowie die Anfeindungen und Zumutungen im öffentlichen Raum nicht nur auf sich nehmen, sondern auch aushalten und ohne dauerhafte Beschädigung durchstehen wollen.

Martin Porwoll & Maria-Elisabeth Klein sowie Can Dündar (2017)

Dipl.-Volkswirt Martin Porwoll (Bottrop) und an die Pharm.-Techn. Assistentin Maria-Elisabeth Klein (Bottrop)erhalten den Whistleblower-Preis für ihre im Herbst 2016 erfolgten Verdachts-Enthüllungen über die in der „Alten Apotheke“ in Bottrop (NRW) jahrelang praktizierte illegale Panscherei mit Anti-Krebsmitteln (Zytostatika) und über die dadurch bewirkte Schädigung mehrerer Tausend schwer- und oft todkranker KrebspatientInnen in fünf oder sechs Bundesländern. Die Preisträger haben aufgrund ihres Insider-Wissens mit ihrem Whistleblowing wesentlich dazu beigetragen, dass die zuständige Staatsanwaltschaft dem Verdacht schwerer Straftaten eines Cyto-Apothekers, die strukturell nur schwer aufzudecken sind, überhaupt nachgehen und aufgrund ihrer umfangreichen Ermittlungen Anklage gegen ihn vor einem unabhängigen Strafgericht erheben konnte. Ferner haben beide Whistleblower damit einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung künftiger weiterer Zytostatika-Panschereien mit schwersten Lebens- und Gesundheitsgefahren für eine unbekannte Vielzahl schwerkranker Krebs-PatientInnen geleistet. Ihr Whistleblowing ist zugleich ein wichtiger Beitrag zur Aufdeckung von strukturellen Missständen in einem besonders kostenintensiven Bereich unseres Gesundheitswesen mit einem Jahresumsatz von ca. 4 Milliarden Euro, der sich auf ca. 50 Hersteller- und Vertriebsunternehmen; ca. 1200 Onkologen und ca. 250 Zytostatika-Apotheken verteilt: Durch das Whistleblowing wurde eine skandalöse defizitäre Kontrollpraxis der staatlichen Aufsichtsbehörden („Apothekenaufsicht“ durch die Amtsapotheker bei Gesundheitsämtern sowie bei der Bezirksregierung und im zuständigen Landesministerium) offenbar; hier ist ein großes Umsteuern erforderlich.

Dr. Can Dündar, seinerzeit Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhüriyet“ (z.Zt. im Exil in Berlin) erhält den Whistleblower-Preis für seine Ende Mai 2015 und danach unter schwierigsten Repressionsbedingungen in der Türkei erfolgten Enthüllungen über ein illegales sog. Staatsgeheimnis des autoritären Erdogan-Regimes; Gegenstand war die Anfang 2014 unter Verstoß gegen geltendes Völkerrecht unternommene Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung nach Syrien an terroristische Dschihadisten durch den Geheimdienst MIT des NATO-Mitgliedsstaates Türkei. Der Preisträger hat sich mit seinem Verhalten nicht nur als verantwortungsbewusster kritischer Journalist und Chefredakteur, sondern auch als couragierter Whistleblower erwiesen. Er war nicht nur „Medium“ für seinen Informanten. Sein mutiges und unerschrockenes Vorgehen unter den extremen Repressionsbedingungen des Erdogan-Regimes war schlechthin konstitutiv für das Öffentlichmachen und Verbreiten der auf dem ihm zugespielten Video-Stick enthaltenen Informationen. Im Rahmen dieses äußerst diffizilen Whistleblowing, an dem auch andere Personen beteiligt waren, war er (neben seinem bisher unbekannten Informanten) der zentrale Akteur und Protagonist. Sein aktives Handeln war letztlich entscheidend dafür, dass die brisanten Informationen nicht länger vom autoritären Erdogan-Regime unterdrückt werden konnten, sondern an die Öffentlichkeit gelangten und weltweit im Hinblick auf notwendige Konsequenzen diskutiert werden konnten.

Veranstaltungswebseite

Weitere Informationen, Pressespiegel sowie auch eine Videoaufzeichnung der Preisverleihung finden Sie auf der Veranstaltungswebseite (Link)

Ausführliche Begründungen der Jury zur Verleihung des Preises

Begründung Martin Porwoll & Maria-Elisabeth Klein (deu)

Can Dündar (deu)

Pressemitteilungen zur Preisverleihung

PM vom 15.11.2017 mit einer aktuellen Stellungnahme zum Bottroper Cyto-Apotheken-Fall von Prof. Dr. Karl Lauterbach MdB (Link)

PM vom 30.10.2017 zur Bekanntgabe der Preisträger (Link)

Brandon Bryant, Gilles-Eric Séralini und Dr. Léon Gruenbaum (2015)

Brandon Bryant war in den Jahren 2006 bis 2011 bei der US Air Force als Drohnenpilot im Einsatz. Er deckte als Insider ab Dezember 2012 in zahlreichen Interviews auf, wie der globale Drohnenkrieg geführt wird. Er hat dabei öffentlich – für Deutschland besonders bedeutsam – auch die zentrale Funktion der Relaisstation und des „Air and Space OPs Center (AOC)“ in der US-Air-Base Ramstein (Rheinland-Pfalz) enthüllt, ohne die das gesamte Programm global in diesen Dimensionen nicht durchführbar wäre.

Professor Dr. Gilles-Eric Séralini hat als Wissenschaftler an der Universität Caen, Frankreich, als erster bei einem zweijährigen Fütterungsversuch mit Ratten die Giftigkeit und die tumorauslösende Wirkung des weltweit am häufigsten verwendeten Herbizids, des Glyphosat-basierten „Roundup“, im Tierversuch festgestellt.

2015 wurde erstmals auch ein Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis vergeben, und zwar an Dr. Léon Gruenbaum, einen früher am Kernforschungszentrum Karlsruhe beschäftigten deutsch-französischen Physiker, der als NS-Verfolgter gegen rassistische und NS-affine Äußerungen dortiger NS-belasteter Leitungspersonen protestiert hatte und im Gefolge dieser Konflikte nicht weiterbeschäftigt wurde.

Veranstaltungswebseite

Weitere Informationen sowie einen Pressespiegel und Fotos der Preisverleihung finden Sie auf der Veranstaltungswebseite (Link)

Langbegründungen der Jury zur Verleihung des Preises

Begründung Brandon Bryant (de/eng)

Gilles-Eric Séralini (de/eng)

Begründung Dr. Léon Gruenbaum (de/eng)

Aktuelle Entwicklungen

Artikel auf Heise Online zur Geheimakte BND & NSA: Hilfe für den US-Drohnenkrieg (19.03.2017)

Edward J. Snowden (2013)

Als Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) hat Edward J. Snowden die massenhafte und verdachtsunabhängige Ausforschung und Speicherung von E-Mails, IP-Adressen, Telefon- und anderen Kommunikationsdaten durch den US-Geheimdienst sowie andere westliche Geheimdienste öffentlich gemacht.

Begründung Edward Snowden (de/eng)

Dr. Rainer Moormann und Chelsea Manning (2011)

Dr. Rainer Moormann hat während seiner langjährigen Arbeit in dem heutigen Forschungszentrum Jülich GmbH beharrlich die bis dahin unumstrittene Sicherheit der Kugelhaufentechnik in Atomkraftwerken hinterfragt. Aufgrund seines Engagements konnte der Export der Technik nach Südafrika verhindert werden.

Chelsea Manning hat, damals noch anonym, im April 2010 ein Video auf WikiLeaks veröffentlicht, welches ein schweres Kriegsverbrechen US-amerikanischer Soldaten im Irak dokumentiert. Das unter dem Namen „Collateral Murder“ bekannte Video zeigt die gezielte Tötung von mindestens sieben Zivilpersonen durch die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers am 12. 7. 2007 im Irak und dokumentiert die menschenverachtenden Begleitkommentare der Täter.

Begründung Rainer Moormann (de)

Begründung Chelsea Manning (de)

Rudolf Schmenger und Frank Wehrheim (2009)

Als Steuerfahnder bei dem Frankfurter Finanzamt V deckten Rudolf Schenger und Frank Wehrheim unlauteres Vorgehen von Banken auf, bis ihre Arbeit von höherer Seite behindert wurde. Per „Amtsverfügung“ wurden ihnen Kompetenzen entzogen und als sie das intern kritisierten, mussten sie und andere die Steuerfahndung nach einem langen Prozess von Einschüchterung, Disziplinarverfahren und vorzeitiger Pensionierung verlassen.

Begründung Rudolf Schmenger und Frank Wehrheim (de)

PD Dr. Liv Bode und Brigitte Heinisch (2007)

Dr. Liv Bode hat mit Beharrlichkeit und ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein versucht, den Verdacht der Kontamination von Blutplasma-Spenden mit infektiösen Bestandteilen von Bornavirus im Bereich der Infektionsforschung am Robert Koch- Institut einer Klärung näher zu bringen. Allein der Ausdauer und dem wissenschaftlichen Engagement von Liv Bode ist es zu verdanken, dass das öffentliche Interesse an dieser brisanten wissenschafts- und gesundheitspolitischen Frage geweckt wurde – und wach bleibt.

Brigitte Heinisch war viele Jahre Altenpflegerin in einer Berliner Pflegeeinrichtung mit zirka 160 Pflegeplätzen. Sie konnte sich mit den dortigen Bedingungen bei der Pflege und Betreuung alter und hilfebedürftiger Menschen nicht abfinden. Sie entschloss sich deshalb zum Whistleblowing. Deswegen wurde sie gemaßregelt. Ihr Arbeitgeber sprach drei Entlassungen aus.

Begründung Liv Bode (de)

Begründung Brigitte Heinisch (de)

Prof. Theodore A. Postol und Dr. Árpád Pusztai (2005)

Der Physiker Theodore A. Postol vom renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Camebridge, USA, kritisiert seit Jahren das amerikanische Raketenabwehrprogramm (GMD) und bezichtigt in diesem Zusammenhang das Lincoln Laboratory des MIT des Wissenschaftsbetrugs sowie das MIT selbst der Vertuschung. Postol äußert seine wissenschaftliche Kritik und seine Warnungen sowohl in Fachkreisen wie auch in den Medien. Er hat damit unter Kollegen und in einer breiteren Öffentlichkeit ernsthafte Zweifel an Sinn und Funktionsfähigkeit der US-amerikanischen Raketenabwehrpläne wie auch an dem zugrunde liegenden militärisch-technischen Sicherheitsverständnis geweckt. Darüber hinaus hat er die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Problematik militärischer Geheimforschung an Universitäten gelenkt.

Der Biochemiker Árpád Pusztai leitete in den 1990er Jahren ein dreijähriges, regierungsfinanziertes Großprojekt am Rowett Research Institute, Aberdeen. Mit 35 Jahren Berufserfahrung und 270 internationalen Veröffentlichungen war er ein führender Experte auf dem Gebiet der Lectine, als er bei Fütterungsversuchen mit gentechnisch veränderten Kartoffeln an Ratten Schäden am Immunsystem und Wachstumsstörungen verschiedener Organe feststellte. Er machte diese gänzlich unerwarteten Beobachtungen auf der Basis vorläufiger Ergebnisse öffentlich – aus Besorgnis über eine mögliche Zulassung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel. Das führte zu seiner sofortigen Entlassung. Trotz späterer Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse im angesehenen Fachjournal „The Lancet“ wurde die Untersuchung bis heute nicht wiederholt.

Dr. Daniel Ellsberg (2003)

Daniel Ellsberg hat Anfang der 70er Jahre die „Pentagon-Papers“ zur jahrzehntelangen Verstrickung der USA in den Vietnam-Krieg an die Presse gegeben. Er selber hatte als Wissenschaftler an der Zusammenstellung dieser streng vertraulichen Dokumentation im US-Verteidigungsministerium mitgearbeitet. Die Nixon-Regierung reagierte seinerzeit mit massiven Eingriffen in die Pressefreiheit und der persönlichen juristischen Verfolgung Ellsbergs um zu verhindern, dass das Ausmaß von Lüge und amtlicher Täuschung der amerikanischen Öffentlichkeit bekannt würde. Damit trug er maßgeblich zu der Beendigung des Krieges bei.

Dr. Margrit Herbst (2001)

Die Tierärztin Dr. Magrit Herbst hegte bereits in den frühen 90er Jahren im Rahmen ihrer Tätigkeit den Verdacht auf BSE an einem schleswig-holsteinischen Rinderschlachthof. Sie äußerte diesen öffentlich, nachdem sie intern kein Gehör gefunden hatte. Dies führte zu ihrer Entlassung aus dem öffentlichen Dienst.

Alexander Nikitin (1999)

Der ehemalige Kapitän der sowjetischen Marine Alexander Nikitin prangerte öffentlich die verwahrlosten Atommüllplätze und die unzureichende atomare Sicherheit bei den U-Booten der russischen Nordflotte. Endgültiges Gehör fand er erst, als das U-Boot „Kursk“ aufgrund eines technischen Defekts unterging.

Bildnachweis Pfeife: adil113 via flickr, Licence: 2.0 Generic (CC BY 2.0)